Serials – wie Serien zu ernstzunehmender Unterhaltungskunst werden

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Foto:  AMC

 20:00 Uhr in Deutschland an einem routinierten Wochentag. Man sitzt allein oder mit der entsprechenden besseren Hälfte auf der Couch und sucht nach einer angemessenen Abendunterhaltung. Im Privatfernsehen tummeln sich die üblichen Verdächtigen: die x-te romantische Komödie, CSI: Irgendeine US-Großstadt oder generische Doku Soaps, die die Intelligenz eines jeden potentiellen Zuschauers beleidigen. Wie sich also behelfen, wenn die private Filmkollektion nichts mehr hergibt und man trotzdem den Drang verspürt, den Fernseher nicht nur als Deko stehen zu lassen? Mit Serien? „Die halten doch nie mit einem guten Film mit!“ mag jetzt der ein oder andere denken. Falsch gedacht! Der Trend weg von weichgespülter TV-Seifenoper hin zu qualitativ hochwertigen Serien ist überall zu sehen. Nur nicht im deutschen Free-TV.

Aller Anfang ist seicht

Früher war nicht alles besser: Baywatch, Knightrider und seichte Sitcoms beherrschten das Nachmittags- und Abendprogramm in den 80ern und 90ern – auch außerhalb Amerikas. Wer anspruchsvolle Unterhaltung gesucht hat, musste ins Kino gehen. Fernsehserien waren bis dato allenfalls zur Berieselung geeignet. Und dann trat 1990 ein gewisser David Lynch auf den Plan und legte mit seiner beliebten Crime-Serie Twin Peaks den Grundstein für ein Sub-Genre, das sich mittlerweile größter Beliebtheit erfreut: den Serials. Man kann grundsätzlich zwei Arten von Serien unterscheiden: die Procedurals, die in jeder Folge eine abgeschlossene Handlung erzählen (Dr. House, CSI) und die Serials, deren Handlungsstränge sich über mehrere Folgen, Staffeln oder sogar die gesamte Serie erstrecken (Lost, Dexter). Dass dieses TV- Format sperrig ist, liegt auf der Hand. Wer eine oder mehrere Episoden verpasst, verliert eventuell den Anschluss und geht als Zuschauer verloren. Deshalb waren Serials in den 90ern auch in Amerika rar gesät. Damals war das erzählerische Potential von Serials einfach nicht salonfähig. Der Bruch, der Serials Mainstream-tauglich machte, kam 1999 mit dem Mafia-Epos The Sopranos. Trotz der unkonventionellen Erzählweise und der episodenübergreifenden Handlung in 6 Staffeln erreichte das Format in seiner Blütezeit bis zu 10 Millionen Fernsehzuschauer. Seitdem steigt die Qualität von Serials kontinuierlich und ist heutzutage teilweise auf Augenhöhe mit dem großen Bruder Film.

Stil über Inhalt? Inhalt mit Stil.

Unzählige Bogenschützen harren auf der Burgmauer von King’s Landing aus und blicken auf die drohenden Flotten Stannis‘ dort im Meer – der Befehl zum Schießen kam noch nicht. Ein einsamer Schütze zielt auf einem Felsen im Wasser auf die sich nähernden Schiffe. Er schießt den Pfeil ab. Treffer! Auf dem Wasser bricht die Hölle los. Ein Inferno aus grünem Feuer breitet sich über die Segelschiffe aus und dezimiert die feindlichen Truppen. Wer jetzt glaubt ich zitiere einen Fantasyroman, liegt richtig. Jedoch ist diese Szene auch so in der entsprechenden TV-Serie zu sehen. Game of Thrones geizt nicht mit Schauwerten und ist mit einem Budget von durchschnittlich 7 Millionen US-Dollar pro Folge genauso teuer wie so mancher Independent-Film. Durch detailreiche Kostüme, exotische Drehorte, Kampfchoreographien und CGI-Effekte wie man sie sonst nur aus Hollywood Produktionen kennt, hat die Serienadaption des Fantasy-Stoffes Das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martin eine internationale Fanbase gewonnen. Fernab vom genannten Eyecandy dominiert allerdings eine dialoglastige Handlung mit unzähligen Charakteren und erwachsenen Thematiken, die für Nicht-Buchkenner überraschend viel Tiefgang für TV-Verhältnisse bietet.

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Der Söldner Bronn beim Angriff auf die Hauptstadt von Westeros (Game of Thrones) ; Foto: HBO

Auch erzählerisch hat sich einiges in der Serienlandschaft getan. Hier sticht die AMC Produktion Breaking Bad heraus. Die beliebte Dialoglastigkeit und Vielfalt von Figuren vieler Serien wird hier zugunsten einer filmisch anmutenden Narration aufgebrochen. Das Familiendrama, bei dem ein krebskranker Chemielehrer ins Drogengeschäft einsteigt bedient sich nur weniger, dafür aber sehr detailliert gezeichneter Charaktere. Das gemäßigte Erzähltempo kann zunächst abschrecken, entfaltet seine Wirkung jedoch umso stärker, wenn der Zuschauer ein genaues Verständnis der Beziehungen und Beweggründe der Figuren bekommt. Die Serienschöpfer inszenieren hier sehr visuell, was Dialoge, die dem Zuschauer regelrecht einhämmern um was es denn jetzt gerade geht, ersetzt. Sowieso sind solche Dialoge nicht gerade ein Qualitätsmerkmal, ob nun in Film oder Serie. Der Realismus der dadurch entsteht wird von einer allgegenwärtigen Impliziten Dramaturgie untermalt, die das Milieu und die Umgebung der Charaktere genau darstellt und viele Plattformen für zeitgenössischen, meist schwarzen, Humor bietet.

Unmut zum Risiko

Hier alle Serien, die es durch ihre Experimentiertfreudigkeit oder andere Besonderheiten wert wären angesprochen zu werden (Hannibal, The Wire, Six Feet Under, Rom, etc.), würde den Rahmen sprengen. Doch das ist nur ein Zeichen dafür, dass man sich zur halbwegs niveauvollen audiovisuellen Unterhaltung nicht mehr nur auf Filme verlassen muss, sondern auch vom kompakten 45-Minuten Format von Serials und deren oft innovativen Ansätzen profitieren kann.

Deswegen ist es für Interessenten schade, dass der Löwenanteil der Serials für deutsche Sender ein zu großes Risiko darstellt. Es wird befürchtet, es gäbe hierzulande keine stabile Zielgruppe. Falls es eine dieser Serien dann doch nach Deutschland schafft, landet sie auf der zweiten Ebene des Fernsehens (RTL2, VOX, etc.) und wird trotzdem auf unmögliche Uhrzeiten gelegt. ZDF zeigte Die Sopranos anfangs am späten Samstagabend, was zur Absetzung führte. 2005 nahm sich kabel eins des Stoffes an – Freitagabend um 23:15 Uhr. So kann einfach keine hiesige Zielgruppe entstehen. Dem Free-TV Serienschauer bleibt nur der Griff zu den oft teuren DVD-Boxen. Das sich das aber durchaus lohnen kann, zeigen die oben genannten Beispiele.

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